Imaging of Matter
Vom Tunneleffekt zum Quantencomputer: Physiknobelpreis würdigt quantenmechanische Grundlagenforschung
9. Oktober 2025

Foto: Electron Studios, UHH, Moritz
In der Quantenphysik sind viele Ereignisse zufällig. Klassische Regeln gelten nicht mehr - und doch sind diese Konzepte die Grundlage moderner Technologien. Jetzt hat die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften drei Quantenforscher mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
John Clarke von der University of California (UC) in Berkeley, Michel Devoret von der Yale University und der UC Santa Barbara sowie John Martinis von der UC Santa Barbara erhalten den Preis „für die Entdeckung des makroskopischen quantenmechanischen Tunnelns und der Energiequantisierung in einem elektrischen Stromkreis“. Ihre in den 80er Jahren durchgeführten Experimente bilden die Basis dafür, dass Quantenphänomene heute in supraleitenden Schaltkreisen und supraleitenden Quantenbits genutzt und eingesetzt werden können. Prof. Henning Moritz vom Institut für Quantenphysik und dem Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ erläutert die Forschung und welche Bedeutung die Auszeichnung für das Forschungsgebiet hat (siehe auch: Tagesschau-Interview mit Henning Moritz vom 7.10.2025).
Professor Moritz, was genau ist das quantenmechanische Tunneln, für dessen Entdeckung die drei Forschenden jetzt ausgezeichnet wurden?
Aus unserer Alltagserfahrung wissen wir, dass Wasser nicht von einem Glas in ein anderes tiefer liegendes fließen kann. Allerdings hat Erwin Schrödinger schon vor 100 Jahren postuliert, dass der Ort eines einzelnes Teilchen nicht genau, sondern durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben wird. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit könnte es auch in einem anderen Wasserglas sein. Die drei Preisträger haben nicht mit Wasser, sondern mit Elektronen experimentiert und gesehen, dass alle Elektronen bildlich gesprochen in das nächste Wasserglas fließen können – also in das nächste Potenzialminimum. Das nennt man quantenmechanisches Tunneln nicht nur eines Teilchens, sondern eines makroskopischen Objekts.
Was sind Anwendungen dieser Forschung?
Der Tunneleffekt an sich hat sehr viele Anwendungen, vom Rastertunnelmikroskop zu besonders präzisen Magnetfeldmessungen. Aber was sich speziell in den letzten 10 Jahren aus der Forschung der Nobelpreisträger entwickelt hat, ist, dass man sogenannte Quantencomputer bauen kann, die eine viel höhere Rechenleistung versprechen als klassische Computer. Damit könnte man zum Beispiel schneller einen Katalysator für Energiespeicherung oder neue Wirkstoffe gegen Krankheiten finden.
Stichwort Quantencomputer. Was unterscheidet sie von klassischen Computern?
Klassische Computer arbeiten mit Nullen und Einsen. Die Quantenbits eines Quantencomputers können nicht nur Null oder Eins sein, sondern beides gleichzeitig. Die nennt man Überlagerung. Dabei kann der Anteil von Null und Eins unterschiedlich groß sein. Das heißt, dass sich dort sehr viel Information verbirgt, die zum Rechnen genutzt werden kann. Wenn man nun eine Rechenoperation zwischen zwei Quantenbits durchführt, werden parallel alle möglichen Optionen berechnet. Mit 300 Quantenbits könnten daher in einer Operation mehr Rechnungen parallel gemacht werden, als es Atome im Universum gibt. Jedes zusätzliche Speicherbit eines Quantencomputers verdoppelt die Kapazität, während ein zusätzliches Bit auf dem klassischen Computer sehr wenig Unterschied macht. Bislang sind diese hohen Rechenleistungen aber noch nicht realisiert, der Fortschritt aber enorm.
Wie wichtig ist der Nobelpreis für diese Forschung?
Der Nobelpreis ist aus meiner Sicht sehr wichtig, weil er die Grundlagenforschung ehrt, die hinter dieser zu erwartenden Revolution in der Informationsverarbeitung. Er geht also zurück zu den Grundlagen und der visionären Forschung, die vielleicht diese Idee, schnell einen Katalysator zu berechnen oder Wirkstoffe finden, noch gar nicht als Ziel hatte, es aber bald ermöglichen könnte. Durch die Auszeichnung wird klar benannt, dass makroskopisches quantenmechanisches Tunneln eines der ersten zentralen Experimente auf dem Weg zu supraleitenden Quantencomputern war.
Wie weit ist da die Forschung im Cluster?
Im Cluster AIM forschen mehrere Arbeitsgruppen intensiv am Quantencomputing mit neutralen Atomen. Dieser Ansatz hat sich in den letzten Jahren extrem schnell entwickelt und in vielen Parametern die obengenannten supraleitenden Qubits schon überholt, obwohl er sehr viel jünger ist und auch noch keine Milliarden-Investitionen durch große Techfirmen wie Google und IBM erfahren hat. Dies ändert sich jetzt aber rapide und es wird ein spannendes Rennen.
Weitere Informationen
zum Tunneleffekt und seiner Bedeutung für den Stromtransport ohne Widerstand,
zur Erforschung neuer Formen von Superfluidität mit Quantengasen (Experimentalphysiker Dr. César Cabrera Córdova hat hierfür einen ERC Starting Grant in Höhe von 1,9 Millionen Euro erhalten),
zur Verlängerung des Exzellenzclusters (mit Videos von Clustersprecherin Prof. Francesca Calegari und Clustersprecher Prof. Henry Chapman).