Imaging of Matter
Forschungsteam entwickelt Theorie zum zweiten Schall
4. Juli 2019
Foto: UHH, AG Mathey
Schall bewegt sich unterschiedlich schnell durch Luft, Wasser oder andere Flüssigkeiten. In supraflüssigem Helium ist er sogar doppelt zu hören: als zweiter Schall. Ein Forschungsteam um Prof. Ludwig Mathey vom Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ der Universität Hamburg hat im Fachmagazin „Physical Review A“ eine Theorie vorgestellt, die diesen zweiten Schall beschreibt.
Schall breitet sich im Wasser wesentlich schneller aus als in der Luft. An einem Sommertag mit einer Temperatur von 25°C liegt die Geschwindigkeit im Wasser bei 1493 Metern pro Sekunde. Andere Flüssigkeiten haben ihre eigene Schallgeschwindigkeit: Alkohol zum Beispiel 1144 Meter pro Sekunde. Bei Helium im verflüssigten Zustand, der bei einer Temperatur von -269°C erreicht wird, sind es 180 Meter pro Sekunde
Kühlt man dieses Helium noch weiter auf mehr als -270 Grad ab, wird es zu einer Quantenflüssigkeit, also einer Flüssigkeit, die reibungslos fließt. Man spricht dann von einem Suprafluid. In diesem Zustand wäre Schall, der durch das suprafluide Helium dringt, gleich zweimal zu hören. Während sich der erste Schall mit 250 Metern pro Sekunde bewegt, hat der zweite Schall eine Geschwindigkeit von 25 Metern pro Sekunde.
„Bei supraflüssigem Helium ist der zweite Schall langsamer als der erste Schall ", erklärt Co-Autor Vijay Singh. Um das Phänomen des zweiten Schalls in Quantenflüssigkeiten zu erfassen, war ein neuer theoretischer Ansatz erforderlich.
„Um die Theorie der Sprafluide zu erweitern, haben wir das Feynman‘sche Pfadintegral verallgemeinert", beschreibt Hauptautor Ilias Seifie den konzeptionellen Fortschritt. Das Feynman’sche Pfadintegral beschreibt die Quantenmechanik als Summe klassischer Bewegungsbahnen. Eine klassische Bewegungsbahn ist z. B. die Bahn einer Billardkugel, bei der man den Ort und Geschwindigkeit sehen kann.
Bei quantenmechanischen Teilchen gibt es jedoch Unsicherheiten, da mitunter zum Beispiel der Ort nicht genau zu bestimmen ist und über einen gewissen Bereich verschmiert ist. „Wir haben die klassischen Kurven daher so modifiziert, dass auch Informationen über Quantenfluktuationen enthalten sind", fährt Seifie fort.
Der erste Schall entspricht noch einer normalen Bewegungskurve, die zum Beispiel von der schwingenden Saite eines Instruments abgeht. Der Querschnitt dieser Kurve hat normalerweise einen mehr oder weniger konstanten Durchmesser über die gesamte Länge (siehe Abbildung 1). Da sich in einer Quantenflüssigkeit der Teilchenwiderstand geringer ist und sich die Schallwellen zusätzlich in die Breite ausdehnen, variiert die Ausdehnung der Kurve. So entsteht der zweite Schall.
Die Formel des neuen Pfadintegrals erfasst also auch Formen, in denen der Querschnitt variiert und zum Beispiel eine elliptische Form annimmt, als würde die Kurve gequetscht. Passend dazu bezeichnen Physiker diese quantenmechanischen Zustände als gequetschte Zustände.
Mathey: „Dieser Ansatz ist breit anwendbar auf jede Methode, die auf Pfadintegralen basiert.“ Durch eine Umstrukturierung des Feynman’schen Pfadintegrals lassen sich eine Vielzahl von Phänomenen von quantenmechanischen Phänomenen besser verstehen, zum Beispiel Supraleitung. Text: CUI
Originalpublikation:
Vijay Singh, Ilias Seifie, Ludwig Mathey
"Squeezed-field path-integral description of second sound in Bose-Einstein condensates"
Phys. Rev. A 100, 013602 – Published 1 July 2019
DOI: 10.1103/PhysRevA.100.013602