Imaging of Matter
Wie Querstreben in Proteinen brechen - und sich bemerkenswert schnell zurückbilden
13. November 2024
Foto: Jessica Harich
Durch den Einsatz extrem kurzer Röntgenblitze ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, die ersten Schritte des lichtinduzierten Brechens von Disulfidbrücken zu verstehen - den natürlichen 'Querstreben', die die meisten Proteinstrukturen in Form halten. Die in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichte Studie verfolgte die ultraschnelle Änderung der Röntgenabsorption von Schwefelatomen und lieferte neue Erkenntnisse, die zur Entwicklung neuer Materialien mit größerer Widerstandsfähigkeit gegenüber ultravioletter Strahlung beitragen könnten.
Schwefel spielt eine wesentliche Rolle in vielen natürlichen Prozessen und insbesondere in Disulfidbrücken von Proteinen. Diese natürlichen 'Querstreben' erzeugen strukturelle Stabilität und helfen zellbiologische Prozesse zu regulieren. Sie sind aber ihrerseits anfällig für Beschädigungen und können unter anderem leicht durch ultraviolettes (UV‑) Licht gebrochen werden. Solch ein Bruch kann zu einem Verlust der Proteinfunktion und sogar Erkrankungen führen. Dieser Bindungsbruch findet aber auch absichtlich statt, z.B. in der chemischen Katalyse, in Sensoren, Arzneimitteln, Polymeren und Nanomaterialien.
Lange haben Forschende diskutiert, ob Disulfide immer symmetrisch in zwei identische schwefelzentrierte Radikale zerbrechen, wenn sie UV-Licht ausgesetzt sind. Wichtig ist die Wellenlänge des anregenden Lichts. Ist diese kürzer als 200 Nanometer, können sowohl Schwefel-Schwefel- als auch Schwefel-Kohlenstoff-Bindungen brechen. Bei UV-Licht längerer Wellenlängen (d. h. niedrigerer Energie) ist dies weniger klar: In der Gasphase wird ausschließlich die Schwefel-Schwefel-Bindung gebrochen, in Lösung jedoch gibt es mehrere Studien, die auf ein anderes Verhalten hinweisen.
Einem internationalen Forschungsteam unter Leitung der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) und des Pohang Accelerator Laboratory (PAL) ist es nun gelungen, diese rätselhafte Diskrepanz durch zeitaufgelöste Röntgenabsorptionsspektroskopie aufzuklären.
Eine Herausforderung ist die extreme Schnelligkeit
Eine der Herausforderungen beim Verständnis des Disulfidbindungsbruchs besteht in seiner extremen Schnelligkeit. Deshalb regten die Forschenden die Disulfidmoleküle mit einem 100 Femtosekunden kurzen UV-Laserblitz an (das sind 0,0000000000001 Sekunden), gefolgt von einem noch kürzeren Röntgenpuls. Solch eine Messung kann nur mit einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser durchgeführt werden, da nur dieser die erforderlichen ultrakurzen Röntgenpulse liefern kann.
Durch den Vergleich der Röntgenabsorptionsspektren mit quantenchemischen Berechnungen konnten die Forschenden die frühesten Fotoprodukte von L-Cystin in wässriger Lösung identifizieren und ihre Entwicklung von hundert Femtosekunden bis knapp unter eine Nanosekunde verfolgen: Innerhalb von 140 Femtosekunden spaltet sich das Disulfidmolekül zwischen den beiden Schwefelatomen symmetrisch in zwei Hälften. „Das bedeutet, dass sich Disulfide in der Gasphase und in Lösung zunächst gleich verhalten. Wir haben jedoch beobachtet, dass der Großteil dieses Fotoprodukts überraschend schnell verschwindet, während sich das Ausgangsmolekül L-Cystin zurückbildet. Diese umgekehrte Reaktion ist in der Gasphase nicht möglich, aber in Lösung nicht ungewöhnlich, da das umgebende Medium die Reaktionspartner eine Zeit lang nah bei einander hält“, erklärt Jessica Harich, Forscherin an der Universität Hamburg, die die Studie mit geleitet hat.
Auf die Rückbildung folgt ein zweites Reaktionsprodukt
„Darüber hinaus beobachteten wir ein zweites Reaktionsprodukt, das entstand, sobald sich das erste Produkt zu seinem Ausgangsstoff L-Cystin rückbildete. Dieser Rekombinationsprozess findet bei relativ hoher Energie statt, d.h. ein Teil der Energie des UV-Lichts ist noch in den rückgebildeten Disulfidbrücken gespeichert und reicht aus, um die Schwefel-Kohlenstoff-Bindung – den Brückenkopf sozusagen – zu brechen und damit Sekundärprodukte zu erzeugen“, ergänzt Nils Huse, Professor für Physik an der Universität Hamburg und Forscher im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“.
Diese neuen Ergebnisse beantworten die alte Frage, wie sich Disulfide in Lösung verhalten: Sie zeigen eindeutig den gleichen primären Reaktionsschritt, wie er in isolierten Molekülen beobachtet wurde, aber sie zeigen auch das verzögerte Auftreten anderer Schwefelmoleküle in Lösung, die nicht direkt durch den UV-Lichtblitz erzeugt wurden. Die ultraschnelle und dominante Rückbildung des ursprünglichen Disulfids deutet darauf hin, dass die Natur möglicherweise den Disulfidbindungsbruch nutzt, um die schädliche Energie von UV-Licht dynamisch abzufedern, indem sie Disulfidbrücken für eine kurze Zeitspanne opfert. Dieser Mechanismus könnte auch als Vorlage für die Entwicklung von Materialien dienen, die resistenter gegen Schäden durch ultraviolette Strahlung sind.
Originalpublikation:
M. Ochmann, J. Harich, R. Ma et al.
UV photochemistry of the L-cystine disulfide bridge in aqueous solution investigated by femtosecond X-ray absorption spectroscopy
Nat Commun 15, 8838 (2024)