Imaging of Matter
Neue Technik zur Untersuchung von Quasiteilchen
17. September 2020

Foto: UHH, AG Schmelcher
Die Eigenschaften von Polaronen beeinflussen die Leitfähigkeit von technologisch relevanten Materialien - etwa von organischen Halbleitern, die in den umweltfreundlichen und aufkommenden Kunststoff-Solarzellentechnologien zu finden sind. In der Grundlagenphysik wird den Polaronen sogar eine entscheidende Rolle bei der Hochtemperatursupraleitung zugeschrieben. Forschende vom Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ der Universität Hamburg und des Okinawa Institute of Science and Technology in Japan haben jetzt eine leistungsstarke spektroskopische Technik vorgeschlagen, mit der sich die Korrelationseigenschaften dieser Quasiteilchen im Bereich der ultrakalten Quantensimulation erfassen und identifizieren lassen. Ihre Arbeit, die in "Physical Review Research" veröffentlicht wurde, ebnet den Weg für einen fruchtbaren Wissenstransfer zwischen den Bereichen der ultraschnellen Dynamik, der ultrakalten Atome und der Physik der kondensierten Materie.
Ein Elektron, das sich durch ein Material bewegt, zieht die schweren Ionen an, die den Kristall bilden, und zwingt diesen, um seine Gleichgewichtsposition zu schwingen. Ist die Koppelung stark genug, bildet sich dabei ein Polaron, also ein Quasiteilchen. Quasiteilchen sind zusammengesetzte Strukturen, die andere physikalische Eigenschaften besitzen als ihre einzelnen Bestandteile. Polaronen sind in hohem Maße technologisch relevant, da ihre große Masse zum Beispiel die Leitungseigenschaften von Halbleitern dramatisch verändern. Diese Quasiteilchen haben somit eine grundlegende Bedeutung für die Materialwissenschaft; ähnliche Quasiteilchen treten zudem in verschiedenen Systemen in fast allen Bereichen der Physik auf.
Polaronen sind jedoch nur sehr schwer durch Computersimulation zu erfassen. Trotz intensiver Studien sind ihre fundamentalen Eigenschaften und die damit verbundenen Korrelationsprozesse noch nicht gänzlich geklärt. „Um die komplizierten Eigenschaften der Quasiteilchen zu untersuchen, ist die Entwicklung neuer Techniken erforderlich“, sagt Prof. Peter Schmelcher vom Institut für Laserphysik der Universität Hamburg.
Pump-Probe-Spektroskopie von ultrakalten Fremdatomen
Die Forschenden aus Hamburg und Okinawa verfügen über umfangreiche Vorerfahrungen im theoretischen Verständnis der Eigenschaften von ultrakalten Polaronen. In früheren Studien konnten sie bereits zeigen, dass die in ultrakalten Atomexperimenten verwendeten Fallen das Verhalten polaronischer Anregungen signifikant beeinflussen. Bei starken abstoßenden Wechselwirkungen etwa führt dies zu ihrem Verschwinden, ein Phänomen, das als „zeitliche Orthogonalitätskatastrophe" bezeichnet wird. In ihrer neuen Arbeit zeigen die Forschenden, dass die Kombination der Techniken der ultrakalten Atome mit denen, die normalerweise in der ultraschnellen Spektroskopie eingesetzt werden, geeignete Werkzeuge für die Behandlung und den Nachweis korrelationsbezogener Phänomene sind, die bei ultrakalten Polaronen auftreten.
Im vorgeschlagenen Pump-Probe-Spektroskopieschema löst ein hochfrequenter Pump-Puls einen Nicht-Gleichgewichtszustands des Systems aus und führt zur Einbettung stark wechselwirkender Fremdatome in ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC). Anschließend kann sich das System in Abwesenheit von Hochfrequenzfeldern für eine variable (dunkle) Zeit entwickeln, was die Bildung von Polaronen und die Entwicklung ihrer Dynamik ermöglicht. Nach dieser Dunkelzeit wird das System durch einen zeitverzögerten Probe-Puls angeregt, der die Fremdatome in einen Zustand versetzt, der nicht mit seiner bosonischen Umgebung wechselwirkt. Zum Ein- und Ausschalten der Wechselwirkungen stützt sich das Protokoll auf Fremdatome mit spinabhängigen Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung, die sich leicht in ultrakalten Atomexperimenten implementieren lassen.
Protokoll erlaubt die Identifizierung besonderer Effekte
Die korrekte Analyse der Spektren des Probe-Pulses für kleine Dunkelzeiten ermöglicht es, die Bildung von kohärent attraktiven und abstoßenden Polaronen abzuleiten. Bei längeren Evolutionszeiten können faszinierende Phänomene wie die oben erwähnte zeitliche Orthogonalitätskatastrophe oder die Thermalisierung der daraus resultierenden Fremdatome deutlich beobachtet werden. Darüber hinaus erlaubt das vorgeschlagenen Protokoll die Identifizierung von Effekten, nach denen bereits lange gesucht wurde, einschließlich der induzierten Anziehung zwischen den Polaronen. Insbesondere, wenn zwei Fremdatome nahe beieinander liegen, erfährt jedes Verzerrungen der Umgebung, die durch das andere Fremdatom verursacht werden - ein Mechanismus, der aus ihrer gegenseitigen Anziehung resultiert. „Dieser Effekt ist für die Physik der kondensierten Materie von entscheidender Bedeutung“, sagt Prof. Schmelcher. „Er liefert einen Anziehungsmechanismus zwischen zwei Elektronen, der zur Erklärung einer Vielzahl von Phänomenen vorgeschlagen wurde, wobei das auffälligste die Hochtemperatur-Supraleitung ist. Die Beobachtung einer solchen Anziehungskraft in ultrakalten Atomanordnungen war jedoch bisher nicht möglich.“
Diese Anwendung der Pump-Probe-Spektroskopie zur Untersuchung von Polaronen ist jedoch nur eine von vielen Einsatzmöglichkeiten dieser Methode im Bereich der ultrakalten Atome. Tatsächlich wurde vor kurzem eine ähnliche Methode für die Untersuchung der ferromagnetischen Eigenschaften von abstoßend wechselwirkenden Fermi-Gasen angewandt, die bekanntermaßen schwer zu identifizieren sind. „Es gibt zahlreiche Perspektiven für die Anwendung verwandter Methoden in verschiedenen Szenarien", sagt Prof. Schmelcher. Beispiele für möglichen Erweiterungen sind Untersuchungen der Rekondensationsdynamik in den angeregten Bändern optischer Gitter oder der Schwingungsdynamik ultralangreichweitiger Rydberg-Moleküle.
Originalveröffentlichung
S. I. Mistakidis, G. C. Katsimiga, G. M. Koutentakis, Th. Busch und P. Schmelcher
"Pump Probe Spectroscopy of Bose Polarons: Dynamical Formation and Coherence"
Phys. Rev. Res. 2, 033380 (2020)