Imaging of Matter
Rekord in der Licht-Materie-Kopplung
30. Juli 2020

Foto: AG Lange, CUI / AG Reich
Eine Forschungskooperation der Freien Universität Berlin, der Universität Hamburg und der Bundesuniversität von Ceará (Brasilien) hat ein neues Konzept realisiert, mit dem die Kopplung von Licht und Materie in neue Größenordnungen gebracht werden kann. Dabei entsteht ein gemischter Licht-Materie-Zustand, der eine hocheffiziente Lichtkonversion, das "Bremsen" und Gestalten von Licht und neue Laserkonzepte ermöglichen könnte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten im Fachmagazin "Nature" über ihre Erkenntnisse, die für ein breites Feld wissenschaftlicher Disziplinen bedeutsam sind - von der Quanteninformationsverarbeitung bis hin zu den Biowissenschaften.
Die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie ist einer der fundamentalsten Prozesse der Physik. Das Verständnis dieses Prozesses basiert derzeit auf der sogenannten schwachen Licht-Materie-Kopplung: Trifft Licht auf Materie, kommt es üblicherweise zu einer Ladungsverteilung, bei der die Materie die Photonen entweder absorbiert, emittiert oder streut. Die Eigenschaften der unterschiedlichen Materiezustände werden durch das Licht aber nicht verändert. Aus diesem Grund verwenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Licht, um angeregte Zustände in Materialien zu untersuchen.
„Dieses Verständnis bricht zusammen, wenn Licht stark an Materie koppelt und dabei deren physikalische und chemische Eigenschaften verändert”, erklärt Dr. Holger Lange vom Exzellenzcluster “CUI: Advanced Imaging of Matter”. Das ist zum Beispiel in der äußersten Grenze der Licht-Materie-Kopplung der Fall, in der tiefen starken Kopplung (deep strong coupling). Hier formen Licht und Materie einen gemeinsamen, hybriden Zustand (Polaritonen) und es werden neuartige nichtlineare Prozesse möglich, etwa die kollektive Emission eines einzelnen Photons durch mehrere Atome.
Metallnanopartikel sind besonders interessant
Der experimentelle Nachweis ist im optischen Spektralbereich und bei Raumtemperatur bislang jedoch nicht gelungen, da die Wechselwirkung von Elektronen und Photonen bei den meisten Materialien nur schwach ist. „Vor diesem Hintergrund sind Metallnanopartikel besonders interessant”, erklärt Goldnanopartikelexperte Dr. Florian Schulz. „Denn bei diesen Partikeln wechselwirken Plasmonen, das sind kollektive Schwingungen mobiler Elektronen, stark mit Licht.” Eine quantenoptische Beschreibung der Wechselwirkungen von Plasmonen wurde von der Gruppe um Holger Lange, in der Schulz forscht, bereits dokumentiert (DOI: 10.1021/acs.nanolett.6b00982).

Unter der Leitung von Prof. Stephanie Reich von der FU Berlin wurde nun ein neues Konzept entwickelt, um neue Regime der Wechselwirkung von Licht und Materie im Experiment zu erreichen: Dabei koppelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Plasmonen in einem Kristall aus Metallnanopartikeln und erzeugten so kollektive plasmonische Zustände. Innerhalb des Kristalls entstehen dabei spezifische plasmonische Moden, die im tiefen starken Kopplungsregime an Licht koppeln. „Eine Herausforderung bestand darin, solche Kristalle auf den relevanten Skalen, also bei optischen Wellenlängen, mit ausreichender Periodizität und Gleichförmigkeit zu entwickeln und die Licht-Materie-Kopplungsstärke der Kristalle zu bestimmen", erklärt Lange.
Neues Selbstorganisationsprotokoll entwickelt
Der Arbeitsgruppe ist es gelungen, ein neues Selbstorganisationsprotokoll zu entwickeln und auf dieser Basis Kristalle aus Goldnanopartikeln in relevanten Größenordnungen zu synthetisieren. Mikroskopische Absorptionsexperimente zeigten, dass die Kristalle bei Raumtemperatur eine rekordverdächtige Licht-Materie-Wechselwirkung aufweisen. „Unser System ist das erste, das bei optischen Frequenzen in eine tiefe starke Licht-Materie-Kopplung eintritt", sagt Lange. Die Forscherinnen und Forscher stellten fest, dass sich Licht innerhalb solcher Kristalle völlig anders verhält: Durch die Bildung von gekoppelten Licht-Materie-Moden wird Gold plötzlich für bestimmte Wellenlängen transparent, während es das gesamte Licht bei leicht unterschiedlichen Wellenlängen absorbiert. Innerhalb der Kristalle ist die Lichtgeschwindigkeit um Größenordnungen geringer und es entstehen neue optische Effekte.
Die theoretische Auswertung erfolgte zum Teil an der Bundesuniversität von Ceará in Brasilien.
Dank dieser Ergebnisse steht der Forschung nun eine neue Materialplattform zur Verfügung, um ein neues Regime der Licht-Materie-Kopplung zu untersuchen. Dabei können die Kristalle aus Nanopartikeln verschiedener Metalle und verschiedener Form synthetisiert werden. Lange: „Die potenziellen Anwendungen unserer Arbeit reichen von grundlegenden Studien der Quantenelektrodynamik über Quantentechnologien, Nanophotonik und nichtlineare Optik bis hin zur Analytik in der Chemie und den Biowissenschaften." Text: CUI
Originalpublikation
N. S. Mueller, Y. Okamura, B. G. M. Vieira, S. Juergensen, H. Lange, E. B. Barros, F. Schulz, St. Reich
"Deep strong light–matter coupling in plasmonic nanoparticle crystals"
Nature 583, 780 – 784 (2020)
DOI: 10.1038/s41586-020-2508-1
Die Synthese der Überkristalle ist in einer weiteren Publikation ausführlicher beschrieben:
F. Schulz, O. Pavelka, F. Lehmkühler, F. Westermeier, Y. Okamura, N. S. Mueller, S. Reich, H. Lange
"Structural order in plasmonic superlattices"
Nature Communications (2020)
DOI: 10.1038/s41467-020-17632-4
Lesen Sie dazu auch den Text auf der Webseite der MIN-Fakultät.