Imaging of Matter
Mit Exzitonen Billard spielen – ein Meilenstein zum Quantensimulator
18. Juni 2020
Foto: UHH/Schmelcher, MPQ München
Halbleiter spielen eine wichtige Rolle in der Elektronik, Optoelektronik oder Photovoltaik. Doch wie andere Festkörper sind sie Quanten-Vielteilchensysteme. Daher würde eine Berechnung ihrer Materialeigenschaften herkömmliche Computer überfordern. Diese Aufgabe könnte aber ein Quantensystem mit vergleichbaren Eigenschaften übernehmen, das von außen voll kontrollierbar ist: ein Quantensimulator. In einer Kollaboration des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in München in Zusammenarbeit mit Kollegen an der Universität Hamburg und der ETH Zürich ist es jetzt gelungen, bestimmte Eigenschaften eines ultraflachen Halbleiters zu erklären. Der Forschung steht damit ein neuer Werkzeugkasten zur Verfügung, um diese zweidimensionalen Halbleiter theoretisch zu beschreiben, ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung von Quantensimulatoren.
Nicht nur in der menschlichen Gesellschaft allgemein, auch in der Physik gibt es unterschiedliche „Kulturen“. Die Kollaboration München-Hamburg-Zürich schlägt einen verbindenden Bogen zwischen zwei solchen Physikkulturen: Quantenoptik und Festkörperphysik. Und sie ist Teil einer Forschungsrichtung, die eine Art analogen Quantencomputer, sogenannte Quantensimulatoren, entwickelt. Diese Idee geht auf den berühmten amerikanischen Theoretiker Richard Feynman zurück und ist ein lang gehegter Traum.
Die aktuelle Arbeit wurde jetzt als Empfehlung der Herausgeber (Editor’s suggestion) in „Physical Review B“ publiziert. In ihr geht es um ein Festkörpersystem mit besonderen Eigenschaften, die einige Jahre zuvor zum ersten Mal in ultrakalten Quantengasen beobachtet wurden. Solche Gase sind ein beliebtes Untersuchungsobjekt der Quantenoptik und haben als Quantensimulator eine Vorhersage für ein spezielles System der Festkörperphysik ermöglicht, die kürzlich experimentell nachgewiesen wurde.
Das Exziton als Billardkugel
In einem ultrakalten Quantengas stoßen die Atome wie harte Billardkugeln aneinander. Um einen entsprechenden Quantensimulator auf einen Festkörper anwenden zu können, wäre es hilfreich, wenn es auch im Festkörpersystem Teilchen gäbe, die eher wie Billardkugeln wechselwirken. Tatsächlich gibt es diese in der Form sogenannter Exzitonen. Diese Teilchen kommen in jedem normalen Halbleiter vor, zum Beispiel in einer leuchtenden LED oder umgekehrt in einer Strom produzierenden Photovoltaikanlage.
Ein Exziton entsteht zum Beispiel, wenn ein Lichtquant auf ein Elektron in einem Halbleitermaterial trifft. Passt die Energie des Photons, dann nimmt das Elektron diese Energie auf, löst sich von seinem Atom und kann sich frei durch den Halbleiter bewegen. Das passiert, wenn Licht in Strom umgewandelt wird. Auf dem ursprünglichen Platz des Elektrons entsteht nun ein Loch, das sich effektiv als elektrisch positive Ladung ebenfalls durch das Kristallgitter bewegen kann. Das Elektron und das Loch ziehen sich gegenseitig elektrisch an und bilden gemeinsam ein sogenanntes Quasiteilchen, das Exziton, das sich nun auch frei durch den Halbleiter bewegen kann.
„Man kann es sich ungefähr wie ein Wasserstoffatom vorstellen“, erklärt Prof. Peter Schmelcher vom Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ der Universität Hamburg. „Das Loch entspricht dem Proton in dessen Atomkern.“ Und dieses Exziton verhält sich eher wie eine Billardkugel, die nur im direkten Kontakt eine andere Kugel anstoßen kann – wie die Atome im kalten Quantengas. Allerdings sind das Elektron und das Loch des Exzitons in gewöhnlichen Halbleitern ziemlich weit voneinander entfernt. „Das können zehn oder mehr Nanometer sein“, sagt Dr. Christian Fey, ehemals Doktorand am Zentrum für Optische Quantentechnologien der Universität Hamburg und nun Postdoktorand in der Münchner Gruppe und Erstautor der wissenschaftlichen Arbeit. Befinden sich nun in einem normalen, dreidimensionalen Halbleiter weitere frei bewegliche Elektronen, dann umgeben diese das Exziton nicht nur, sie durchdringen und zerlegen es recht schnell. Das geschieht zum Beispiel bei Elektronendichten, die technisch relevant sind.
Ultraflache Halbleiter als ideale Simulationsobjekte
Ein zweidimensionaler Halbleiter hingegen ist so flach, dass sich ober- und unterhalb des Exzitons keine Elektronen aufhalten, die es schwächen können. Diese Eigenschaften machen es zum idealen Simulationsobjekt. Das Exziton kann sogar stabil überleben, wenn sich zusätzliche Elektronen in der Ebene befinden. Und nicht nur das: Es kann die Elektronen um sich herum auch so beeinflussen, dass ein sogenanntes Polaron entsteht. Das ist ein Vielteilchenobjekt, in dem das Exziton in eine Wolke aus Elektronen „eingekleidet“ ist. Die Masse des Exzitons wird effektiv erhöht, da es diese Wolke mit durch den Festkörper ziehen muss. Alternativ zur Polaronbildung kann das Exziton auch mit einem weiteren Elektron als drittes Teilchen ein größeres Quasiteilchen bilden, ein „Trion“.
Dieser Zustand ist experimentell noch nicht nachgewiesen, aber ihn und noch andere physikalische Eigenschaften eines zweidimensionalen Halbleiterkristalls beschreibt der neue Werkzeugkasten der Kollaboration. Einen experimentellen Test hat dieser Werkzeugkasten bereits bestanden: Er kann Messdaten zur Absorption von Licht erklären, die an dem zweidimensionalen Halbleiter Molybdändiselenid (MoSe2) gemessen wurden.
Schmelcher: „Diese Geschichte aus dem produktiven Clash zweier Kulturen der Physik demonstriert so eine erfolgreiche Anwendung der Quantensimulation auf ein Festkörpersystem. Ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung von Quantensimulatoren ist erreicht.“ Text: CUI. Eine lange Version des Textes lesen Sie unter https://www.mpq.mpg.de/6275398/playing-pool-with-excitons?c=4455309
Originalveröffentlichung
C. Fey, P. Schmelcher, A. Imamoglu, R. Schmidt
"Theory of exciton-electron scattering in atomically thin semiconductors"
Phys. Rev. B 101, 195417 (2020)
DOI: 10.1103/PhysRevB.101.195417