Imaging of Matter
Messung zeigt Elektronenballett in Echtzeit
21. Mai 2020

Foto: DESY, Andrea Trabattoni
Die Beobachtung der Struktur und Dynamik von Molekülen mit atomgenauer Auflösung in Echtzeit gehört zu den Schlüsseltechniken für ein umfassendes Verständnis chemischer Reaktionen. Ein interdisziplinäres Forschungsteam am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) hat jetzt einen entscheidenden Schritt in diese Richtung erreicht. Die Forschenden konnten die Details der sogenannten Starkfeld-Photoionisation, bei dem ein Elektron durch ultraintensives Licht aus einem Molekül herausgeschleudert wird, sowie die anschließende komplizierte elektronische Dynamik des Moleküls in Echtzeit erfassen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von DESY, der Universität Hamburg und dem Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) berichten im Fachblatt „Nature Communications“ über ihre Arbeit.
„Wenn wir verstehen, wie chemische Reaktionen genau ablaufen, vertieft das nicht nur unseren grundsätzlichen Einblick in die Dynamik der Materie, sondern kann uns auch helfen, bessere oder völlig neue Reaktionen für spezifische Anwendungen zu entwerfen“, sagt Jochen Küpper, Leiter der Gruppe Controlled Molecule Imaging (CMI) am CFEL, in deren Laboren das Experiment stattfand. Küpper forscht bei DESY und im Exzellenzcluster "CUI: Advanced Imaging of Matter" und ist Professor an der Universität Hamburg . „Das Filmen chemischer Reaktionen erfordert eine Folge ultraschneller Momentaufnahmen mit atomarer Auflösung. Diese als 'molecular movies' bezeichnete Technik konnte hinsichtlich der Quantennatur dieser Prozesse bislang jedoch noch nicht im notwendigen Umfang realisiert werden.“
Elektronen erzeugen charakteristisches Beugungsmuster
Diesem Ziel ist das Team nun einen großen Schritt näher gekommen. Mit der Methode der laserinduzierten Elektronenbeugung untersuchten die Forscherinnen und Forscher die Wechselwirkung zwischen Carbonylsulfidmolekülen, die per Laser im Raum fixiert wurden, und einem sehr intensiven, weiteren Laserfeld. Bei dieser Methode wird das starke Laserfeld verwendet, um ein Elektron aus einem Molekül zu schlagen, es anschließend zu beschleunigen, und dasselbe Elektron dann bei hoher Energie wieder mit dem ursprünglichen Molekül kollidieren zu lassen. Derart gestreute Elektronen erzeugen ein charakteristisches Beugungsmuster, aus dem sich die Struktur des Moleküls mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung berechnen lässt.
Die Forscherinnen und Forscher verwendeten für ihre Untersuchung einen kombinierten experimentellen, theoretischen und modellierenden Ansatz. Dies ermöglichte es, dem Tanz der aus dem Molekül herausgeschlagenen Elektronen in dem starken Laserfeld präzise zu folgen. „Überraschenderweise ist es das Molekül selbst, das den Rhythmus und die Geschwindigkeit dieses Elektronenballetts bestimmt“, berichtet Hauptautor und CUI-Forscher Andrea Trabattoni von DESY.
Das Molekül ist der Taktgeber für die Elektronendynamik
Bislang ging die Forschung davon aus, dass die Dynamik der Elektronen vor allem durch das äußere Laserfeld bestimmt wird. Die neuen Ergebnisse deuten dagegen darauf hin, dass diese gängige Denkweise jedoch nicht stimmt: Das Molekül spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewegung des Elektrons und ist der Taktgeber für Ausstoß und Beschleunigung des Elektrons. „Das Molekül bestimmt nicht nur die Anfangsrichtung des ausgestoßenen Elektrons, sondern es zieht das Elektron auch wiederholt an und legt die Zeit für die erneute Kollision fest“, erklärt Trabattoni. „Im Lichte dieses neuen Verständnisses sollte die Interpretation früherer Untersuchungen mittels laserinduzierter Elektronenbeugung überdacht werden.“
„In unserer Gruppe haben wir einzigartige Techniken entwickelt, um die Richtung von Molekülen im Raum und ihre Wechselwirkung mit Laserfeldern exakt zu steuern“, erläutert Küpper. „Diese Techniken sind der Schlüssel zur Entdeckung des Zusammenspiels des ultraintensiven Laserfelds und des Moleküls während der Elektronendynamik.“ Die molekulare Starkfeldwechselwirkung wurde dabei mit einer Art Doppeltheorie modelliert. Einerseits wurde von Umberto De Giovannini aus der Gruppe von Angel Rubio am MPSD eine voll quantenmechanische Behandlung implementiert, während andererseits Joss Wiese, Doktorand am Fachbereich Chemie der Universität Hamburg und in Küppers CMI-Gruppe, eine semiklassiche Quantentrajektorien-Berechnung entwickelt hat.
„Unser Ergebnis definiert grundlegenden Aussagen der Starkfeld-Molekülphysik um und zeigt neue Wege zur Abbildung von Molekülen mit bisher unerreichter räumlicher und zeitlicher Auflösung auf“, schliesst Trabattoni. Text: DESY, red.
Oringinalveröffentlichung:
Andrea Trabattoni, Joss Wiese, Umberto De Giovannini, Jean-François Olivieri, Terry Mullins, Jolijn Onvlee, Sang-Kil Son, Biagio Frusteri, Angel Rubio, Sebastian Trippel, und Jochen Küpper
"Setting the photoelectron clock through molecular alignment"
Nature Communications (2020)
DOI: 10.1038/s41467-020-16270-0
(Preprint)