Imaging of Matter
Ionenmikroskop offenbart ungewöhnliche Kollisionen in Zeitlupe
24. September 2024
Foto: UHH, AG Schmelcher
Mit einem neuartigen Ionenmikroskop ist es Forschenden der Universitäten Stuttgart und Hamburg gelungen, Teilchenkollisionen in einem ultrakalten Gas abzubilden und zu verstehen. Über ihre Experiment-Theorie-Kollaboration, welche für das Verständnis grundlegender Prozesse in der Natur wichtig ist, berichten sie in der Fachzeitschrift Physical Review Letters.
Insbesondere beobachtete das Team Stöße zwischen einem positiv geladenen Ion und einem Rydberg-Atom. Dessen hoch angeregtes Valenzelektron führt dazu, dass die beiden Teilchen über ungewöhnlich große Distanzen von mehreren Mikrometern miteinander wechselwirken - vergleichbar mit der Breite eines menschlichen Haares. Die große Distanz dieser Wechselwirkung bedeutet auch, dass die Kollisionen auf Zeitskalen von mehreren Mikrosekunden stattfinden, was etwa sechs Größenordnungen langsamer ist als die interne Dynamik bekannter molekularer Systeme, wie etwa die Schwingungsdynamik von Wassermolekülen.
„Die Ionen-Rydberg-Kollisionen finden in einem Bereich statt, in dem die bekannte Born-Oppenheimer-Näherung zusammenbricht”, sagt Peter Schmelcher, Professor an der Universität Hamburg und Forscher im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“. Diese Näherung ist ein Eckpfeiler der modernen theoretischen Chemie, aber aufgrund der dichten Energieniveau-Struktur des Rydberg-Atoms ist sie hier nicht mehr gültig. Infolge dieses Zusammenbruchs kann das Teilchenpaar entlang vieler verschiedener möglicher Kanäle kollidieren und hat eine Wahrscheinlichkeit, zwischen benachbarten Kanälen zu wechseln, wenn die Energien eines Kanalpaars nahe genug beieinander liegen.
Einzigartige Form führt zu ungewöhnlichen Eigenschaften
Die einzigartige Form der Kollisionskanäle in diesem System führt zu einer weiteren ungewöhnlichen Eigenschaft: Teilchen, die ursprünglich mit einer niedrigeren Geschwindigkeit starten (blaue Kugel in der Abbildung), haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, zwischen den Kollisionskanälen zu wechseln. Dies führt dazu, dass sie eine große Beschleunigung nach innen erfahren, wenn sie den steilen, stark polaren Bereich des Kollisionskanals erreichen. Daher kollidieren diese Teilchen schneller als die Teilchen, die mit einer höheren Geschwindigkeit starten (rote Kugel in der Abbildung). Diese haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, zwischen den Kanälen zu wechseln und halten sich daher länger in den schwach polaren Bereichen der Kollisionskanäle auf. „Mit anderen Worten, kühlt man das System ab, sind insgesamt schnellere Kollisionen zu beobachten“, so Schmelcher.
Welchen Kanälen die Teilchen folgen, können die Forscherinnen und Forscher weiter beeinflussen, indem sie die Frequenz ihres Anregungslasers verändern, der die anfängliche Trennung des Ionen-Rydberg-Paares und die Energie des Valenzelektrons des Rydberg-Atoms genau steuert.
Die experimentellen Beobachtungen in Stuttgart werden durch Simulationen mit einem semiklassischen Molekulardynamikmodell in Hamburg unterstützt und interpretiert.
Die Untersuchung solcher physikalischen Systeme hat das Potenzial, mehr Licht in die Rolle der Physik jenseits der Born-Oppenheimer-Näherung zu bringen, die für das Verständnis einer Vielzahl grundlegender Prozesse in der Natur wichtig ist, wie zum Beispiel der Photosynthese und des Abbaus der DNA durch UV-Licht.
Originalpublikation
M. Berngruber, D.J. Bosworth, O.A. Herrera-Sancho, V.S.V. Anasuri, N.Zuber, F. Hummel, J. Krauter, F. Meinert, R. Löw, P. Schmelcher and T. Pfau
In Situ Observation of Non-Polar to Strongly Polar Atom-Ion Collision Dynamics
Physical Review Letters 133, 083001 (2024)