Imaging of Matter
Röntgenlicht zeigt Selbstorganisation von Nanokristallen live
23. Mai 2019

Foto: DESY, Irina Lokteva
Per Röntgenlicht hat ein Forschungsteam live verfolgt, wie Nanokristalle sich selbst zu einer hochgeordneten Schicht organisieren. Die Untersuchung hilft, die Selbstorganisation von Nanopartikeln besser zu verstehen, die für viele technische Anwendungen beispielsweise in der Elektronik und Optoelektronik von Bedeutung ist, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachblatt „Small“ schreiben.
Nanokristalle sind dafür bekannt, geordnete Strukturen zu bilden, beispielsweise während des kontrollierten Verdampfens eines Lösungsmittels. Diese sogenannten Superstrukturen können durch das Zusammenspiel der vielen Einzelkristalle ganz neue Materialeigenschaften entwickeln. „Das Ergebnis dieser Selbstorganisation der Kristalle ist allerdings schwer vorherzusagen und noch schwerer zu kontrollieren“, erläutert DESY-Forscherin Dr. Irina Lokteva, Hauptautorin der Veröffentlichung und Mitglied im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“.
Um die Selbstorganisation besser zu verstehen, untersuchten die Wissenschaftler Bleisulfid-Nanokristalle als Modellsystem. Die einzelnen Kristalle hatten typischerweise einen Durchmesser von knapp vier Nanometern (millionstel Millimetern). „Bleisulfid kommt unter anderem bei Solarzellen, Leuchtdioden und Transistoren zum Einsatz“, berichtet Lokteva, die in der Forschungsgruppe Kohärente Röntgenstreuung von Prof. Gerhard Grübel (Universität Hamburg, DESY) und Dr. Felix Lehmkühler (DESY) arbeitet. Damit die Nanokristalle nicht schon bei der Herstellung zusammenkleben, wurden sie mit Ölsäure stabilisiert, die sich um die Partikel legt – ähnlich wie Wachs das Zusammenkleben von Gummibärchen in der Tüte verhindert. Das ist ein in der Nanotechnik etabliertes Verfahren.
Für die zeitaufgelöste Untersuchung wurden die Nanokristalle als Suspension in dem organischen Lösungsmittel Heptan in einen 0,5 Millimeter schmalen Spalt getropft. Bei 25 Grad Celsius verdampften die 25 millionstel Liter (Mikroliter) Lösungsmittel in rund zwei Stunden. Währenddessen konnten die Forscher verfolgen, wie sich an den Wänden des Spalts von oben nach unten eine dreidimensional geordnete Kristallschicht ausbildete. Per Röntgenlicht analysierten sie dabei an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF in Grenoble alle drei Sekunden die Struktur der Schicht. Es zeigte sich, dass die Nanokristalle sich zunächst in dem hexagonalen Kristallsystem HCP (hexagonal close packed) organisierten. „Diese Struktur haben wir bei Bleisulfid erstmals beobachtet“, unterstreicht Lokteva.
Sobald das Lösungsmittel ganz verdampft war, änderte sich die Schichtstruktur jedoch ruckartig ins kubische Kristallsystem BCC (body-centered cubic), wie die Röntgenaufnahmen zeigen. „Plötzlich springt die gesamte Schicht in die BCC-Struktur“, sagt Lokteva. „Da damit eine Volumenänderung einhergeht, kommt es zu Rissen in der Schicht.“ Diesen Effekt, den das Team erstmals live verfolgt hat, kann man entweder versuchen, gezielt einzusetzen, oder gezielt zu vermeiden, um Schichten mit gewünschten Eigenschaften herzustellen. „Mit den richtigen Rahmenbedingungen für die Selbstorganisation lässt sich die finale Struktur je nach Anforderungen für die Anwendung beeinflussen“, betont die DESY-Forscherin.
Die Beobachtung des Modellsystems Bleisulfid ist auch für andere Materialien von Bedeutung. „Zahlreiche Anwendungen von Nanopartikeln benötigen geordnete Filme“, erläutert Lokteva. Die Untersuchungsergebnisse sind dabei ein Schritt, um sowohl die Selbstorganisation als auch die Wechselwirkung des Trennmittels (Ölsäure) mit dem organischen Lösungsmittel (Heptan) besser zu verstehen. Text: DESY, Red.
Originalveröffentlichung:
Irina Lokteva, Michael Koof, Michael Walther, Gerhard Grübel und Felix Lehmkühler
"Monitoring Nanocrystal Self-Assembly in Real Time Using In Situ Small-Angle X-Ray Scattering"
„Small“, 2019