Imaging of Matter
Die Dynamik verrät den Grundzustand
17. April 2019

Foto: UHH, AG Sengstock
Forscherinnen und Forscher der Universität Hamburg und vom MPIPKS in Dresden haben erstmals die Verschlingung dynamischer Wirbel eines Systems direkt beobachtet. Damit konnten sie den Phasenübergang und die Topologie des ruhenden Systems präzise bestimmen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten jetzt im Fachmagazin „Nature Communications“ über ihre Ergebnisse, die neue Einblicke in topologische Materialien versprechen.
Oft lernt man aus der Dynamik heraus etwas über den Zustand des ruhenden Systems. Will man wissen, ob ein Ei roh oder gekocht ist, legt man es auf eine Tischplatte und versucht es zu drehen. Das gekochte Ei rotiert wie ein Kreisel, aber das ungekochte will sich nicht recht drehen lassen. Solche Tricks kann man auch anwenden, um z.B. die Quantenphase eines Quantengases zu erkennen. Dazu nutzen die Forscher ultrakalte Atome in Gittern aus Laserlicht, die das Verhalten von Elektronen in Festkörpern simulieren, denn diese Systeme lassen sich hervorragend kontrollieren. Die Forscherinnen und Forscher interessieren sich insbesondere für die Topologie des Gitters, die durch die ganzzahlige sogenannte Chern-Zahl beschrieben wird.
Topologische Eigenschaften von Festkörpern stoßen generell auf großes Interesse und wurden 2016 mit dem Nobelpreis für Physik gewürdigt. Sie führen zu spannenden Effekten, z.B. der präzise quantisierten Leitfähigkeit im Quanten-Hall Effekt, die mittlerweile zur Norm-Definition des elektrischen Widerstandes verwendet wird. Die Topologie lässt sich als eine Windung des Systems verstehen, die immer ganzzahlig sein muss, weil das System periodisch ist. Wissenschaftler von der Tsinghua Universität in Peking hatten kürzlich vorhergesagt, dass sich diese Windung in einer Messung der Dynamik zeigt: sie führt zu einer Verschlingung von dynamischen Wirbeln, einer weiteren topologischen Größe.
Das experimentelle Team um Prof. Klaus Sengstock und Dr. Christof Weitenberg vom Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ hat nun in Zusammenarbeit mit Dr. Nur Ünal und Dr. André Eckardt vom MPIPKS in Dresden diese Verschlingung zum ersten Mal direkt beobachtet. Aus der Analyse der Dynamik war es ihnen möglich, die Quantenphase des Grundzustandes zu extrahieren. Dazu änderten sie schlagartig das System und beobachteten den Zustand nach unterschiedlichen Zeiten: die topologische Chern-Zahl des Grundzustandes konnten sie direkt aus einer Verschlingungszahl von dynamisch auftauchenden Wirbeln ablesen.
Damit konnten sie die Topologie des ruhenden Systems präzise bestimmen und den Phasenübergang zwischen verschiedenen Chern-Zahlen ausmessen. Die Forscherinnen und Forscher versprechen sich weitere Einblicke in topologische Materie auch im Wechselspiel mit Wechselwirkungen.
Originalveröffentlichung
M. Tarnowski et al.
“Measuring topology from dynamics by obtaining the Chern number from a linking number”
Nature Communications 10, 1728 (2019)
DOI: 10.1038/s41467-019-09668-y
Weitere Informationen
N. Fläschner et al., Nature Physics 14, 265 (2018)
C. Wang et al., Physical Review Letters 118, 185701 (2017)