Imaging of Matter
Forschende kombinieren zwei Techniken zur Untersuchung des Glasübergangs
17. Mai 2023

Foto: DOI: 10.1021/acs.jpclett.3c00631, Creative Commons Attribution License 4.0 (CC BY)
Beim Übergang vom flüssigen zum festen Glas-Zustand bildet sich auf atomarer Ebene ein besonderer Zustand zwischen einer ungeordneten Flüssigkeit und einem kristallinen Festkörper. Ein DESY-Forschungsteam unter der Leitung von Felix Lehmkühler, der auch im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ forscht, hat nun in der Zeitschrift „The Journal of Physical Chemistry Letters“ eine neue Technik vorgestellt, die die Struktur und Dynamik einer Flüssigkeit nahe dem Glasübergang beleuchtet.
Obwohl Gläser seit langem erforscht werden, ist erstaunlich wenig über die Glasbildung bekannt. Die Struktur von Glas ähnelt einer Flüssigkeit, aber im Gegensatz dazu sind die Atome in einem Glas so gut wie unbeweglich: Die Dynamik oder Viskosität dieser Materialien verlangsamt sich um mehr als 12 Größenordnungen, bevor sie den Glasübergang überschreiten. Dieser Effekt ist noch immer nicht verstanden, aber auch die Frage, warum ein Material eher ein Glas und nicht einen kristallinen Festkörper bildet, ist ungelöst.
Eine gängige Theorie besagt, dass die lokale Struktur der Atome in Flüssigkeit eine Schlüsselrolle spielen könnte. Wenn beispielsweise einige Atome dazu neigen, ikosaedrische Cluster zu bilden, können sie nicht zu einem geordneten Kristall heranwachsen und stören somit die weitere Keimbildung sowie das Wachstum von Kristallkernen.
Anzahl und Lebensdauer geordneter Cluster nimmt in der Nähe des Glasübergangs zu
Studien zum Glasübergang müssen also sowohl die Struktur als auch die Dynamik des untersuchten Systems berücksichtigen. Das Forschungsteam nutzte die 'Coherence Applications Beamline' P10 von DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III, die es ermöglicht, die Dynamik mithilfe der Röntgen-Photonen-Korrelationsspektroskopie (XPCS) zu untersuchen. In der aktuellen Arbeit konzentrierten sich die Forschenden auf ein kolloidales Hartkugelsystem. Hier kann die Phase leicht über den Volumenanteil der kolloidalen Nanopartikel in der Dispersion eingestellt werden.
Die Forschenden kombinierten die XPCS-Technik mit Intensitätskorrelationsdaten höherer Ordnung aus einer sogenannten Röntgen-Kreuzkorrelationsanalyse (XCCA). Auf diese Weise konnten sie nicht nur die Dynamik der einzelnen Teilchen, sondern auch die Lebensdauer von Teilchenclustern über die Dynamik von Korrelationsfunktionen höherer Ordnung verfolgen. Bei Annäherung an den Glasübergang zeigte diese Dynamik eine stärkere Verlangsamung als die Dynamik der Einzelteilchen, die nur mit XPCS verfolgt wurde. „Dies ist ein Hinweis darauf, dass die lokale Ordnung in der Nähe des Glasübergangs langlebiger wird“, erklärt Nele Striker, die Hauptautorin der Studie. „Das bedeutet, dass nicht nur die Anzahl, sondern auch die Lebensdauer der geordneten Cluster in der Nähe des Glasübergangs zunimmt.“
„Dieser neue experimentelle Ansatz mit kohärenter Röntgenstrahlung kann erweitert werden, um Struktur-Dynamik-Korrelationen auf vielen Längenskalen nachzuweisen", sagt Fabian Westermeier, Wissenschaftler an der PETRA III-Beamline P10 und Mitautor der Studie. Neben glasartigen Proben können auch andere Phasenübergänge oder Lebensdauern von transienten Strukturen in Flüssigkeiten wie Wasser untersucht werden. Text: DESY Phton Science, red.
Publikation:
Nele N. Striker, Irina Lokteva, Michael Dartsch, Francesco Dallari, Claudia Goy, Fabian Westermeier, Verena Markmann, Svenja C. Hövelmann, Gerhard Grübel, und Felix Lehmkühler,
„Dynamics and Timescales of Higher Order Correlations in Supercooled Colloidal Systems“
J. Phys. Chem. Lett. (2023)