Imaging of Matter
Zeit für einen neuen Materiezustand in Hochtemperatursupraleitern
17. November 2020

Foto: AG Mathey
Wissenschaftler der Universität Hamburg eröffnen eine neue Richtung des Materialdesigns. Die Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Ludwig Mathey vom Institut für Laserphysik und dem Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ nutzt Licht, um supraleitende Materialien in einen zeitkristallinen Zustand zu bringen. Ziel ist es, eine neue, dynamische Strategie zu entwickeln, um Quantenmaterialien nach Bedarf zu entwerfen. Die Wissenschaftler berichten in der Zeitschrift Physical Review Research über ihre Arbeit.
Hochtemperatursupraleiter mit ihrem reibungslosen Elektronenfluss bei Temperaturen bis zu 100 K (173 °C) gehören zu den spektakulärsten Phänomenen der Materialwissenschaft. Dank intensiver Forschung konnte dieses Phänomen in reale Systeme überführt werden, so dass man heute ein Stück eines Hochtemperatursupraleiters tatsächlich kaufen kann.
Supraleiter sind Kristalle, in denen die einzelnen Atome eine sehr regelmäßige, räumliche Struktur bilden. Das Konzept lässt sich mit Hilfe eines mit Wasser gefüllten Eimers erläutern: Wenn das Wasser flüssig ist, können sich die Wassermoleküle überall innerhalb des Eimers befinden. In diesem Sinne ist jeder Punkt innerhalb des Eimers gleichwertig. Sobald das Wasser zu Eis-Kristallen gefriert, nehmen die Wassermoleküle wohldefinierte Positionen im Raum ein.
Der Hochtemperatursupraleiter wird mit einem Laser bestrahlt
Zeitkristalle konnten bislang nur in künstlichen Modellsystemen realisiert werden. Die Forschenden wollten daher herausfinden, ob es möglich ist, dass sich Kristalle nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit bilden. "In unserer Arbeit schlagen wir vor, einen Hochtemperatursupraleiter in einen Zeitkristall zu verwandeln, indem wir ihn mit einem Laser bestrahlen", erklärt Erstautor Guido Homann. Das bestimmende Merkmal eines Zeitkristalls ist, dass ein makroskopisch beobachtbares Objekt, wie z.B. der elektrische Strom in einem Festkörper, mit einer Frequenz schwingt, die kleiner ist als die Antriebsfrequenz. Ein Zeitkristall kann entstehen, wenn ein physikalisches System aus vielen wechselwirkenden Teilchen periodisch angetrieben wird.
„Die Frequenz des Lasers muss auf die Summenresonanz zweier fundamentaler Anregungen des Materials abgestimmt werden“, erläutert Homann die Vorgehensweise der Forschungsgruppe. Eine dieser Anregungen ist die schwer fassbare Higgs-Mode, die konzeptionell mit dem Higgs-Boson in der Teilchenphysik verwandt ist. Die andere Anregung ist die Plasmamode, die einer oszillatorischen Bewegung von Elektronenpaaren entspricht, die für die Supraleitung verantwortlich sind.
Die Erzeugung des Zeitkristalls etabliert die dynamische Phase
„Die Erzeugung eines Zeitkristalls in einem Hochtemperatursupraleiter ist ein wichtiger Schritt, weil er diese echte dynamische Phase der Materie im Bereich der Festkörperphysik etabliert", sagt Co-Autor Dr. Jayson Cosme. Forschungsgruppenleiter Prof. Ludwig Mathey betont, die Steuerung von Festkörpern durch Licht sei nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht faszinierend, sondern auch technologisch relevant: „Das letztendliche Ziel unserer Forschung ist es, Quantenmaterialien nach Bedarf zu entwerfen."
Originalpublikation:
G. Homann, J. G. Cosme, and L. Mathey
"Higgs time crystal in a high-Tc superconductor"
Phys. Rev. Res. 2, 043214 (2020)