Imaging of Matter
Zur Vergabe des Physik-Nobelpreises in StockholmDie kürzesten jemals erzeugten Lichtpulse
8. Dezember 2023
Foto: AG Kaertner, CFEL
Ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde - extrem kurze Laserblitze, mit deren Hilfe sich die Dynamik von Elektronen in Materie untersuchen lässt, sind zentrale Forschungsthemen im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“. Am 10. Dezember 2023 wird in Stockholm der Physik-Nobelpreis für die Entwicklung experimenteller Methoden zur Erzeugung eben solcher Attosekunden-Lichtpulse übergeben.
CUI-Sprecherin Francesca Calegari, Professorin an der Universität Hamburg und leitende Wissenschaftlerin bei DESY, beschreibt das Forschungsgebiet, die Anknüpfungspunkte an die Cluster-Forschung und ihre persönlichen Verbindungen zu den drei mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Forschenden, Anne L’Huillier (Universität Lund, Schweden), Pierre Agostini (Ohio State University, Columbus, USA) und Ferenc Krausz (Ludwig-Maximilians-Universität München und Max-Planck-Institut für Quantenoptik).
In einem weiteren Interview stellt Cluster-Forscher Prof. Alf Mews das Forschungsgebiet des diesjährigen Chemie-Nobelpreises vor. Denn auch dieses Gebiet gehört zu den zentralen Cluster-Themen.
Professor Calegari, könnten Sie die Forschung, für die die Preisträgerin und die Preisträger ausgezeichnet wurden, in wenigen Sätzen beschreiben?
Der diesjährige Nobelpreis für Physik wurde für die kürzesten Lichtpulse verliehen, die jemals von Menschen erzeugt wurden, nämlich für Lichtpulse, die nur einige zehn Milliardstel einer Milliardstelsekunde (Attosekunden) dauern. Die Erzeugung dieser ultrakurzen Lichttransienten ist nur durch einen extrem nichtlinearen optischen Prozess möglich, der als Erzeugung hoher Harmonischer (HHG) bezeichnet wird und für die Untersuchung der Elektronendynamik in Materie von entscheidender Bedeutung ist. Elektronen sind der „Klebstoff“, der die Atomkerne zusammenhält, und sie bestimmen die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Materie. Da sie sich auf der Zeitskala von Attosekunden bewegen, benötigt man Lichtpulse mit der gleichen Zeitdauer, um ihre Bewegung zu erfassen. Die Attosekundentechnologie hat die Möglichkeit eröffnet, extrem schnelle Prozesse zu beobachten, wie z. B. die charakteristischen zeitlichen Verzögerungen bei der Photoemission von Elektronen aus verschiedenen atomaren und molekularen Orbitalen oder die lichtaktivierte Ladungswanderung entlang biomolekularer Bausteine.
Das ist sehr dicht an der Forschung im Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“. Wo genau liegen die Anknüpfungspunkte?
Die Nachricht über die Verleihung des diesjährigen Nobelpreises für Physik war für viele von uns im Cluster sehr aufregend. Im Forschungsbereich B haben wir mehrere Gruppen, die im Bereich der Attosekundenforschung tätig sind: Einerseits gibt es starke technologische Anstrengungen bei der Entwicklung der nächsten Generation von Attosekunden-Lichtquellen, die auf der Wellenform-Synthese oder der Erzeugung von ultrakurzem UV-Licht basieren, und andererseits werden Experimente zur Kontrolle der molekularen Reaktivität auf der Elektronenzeitskala durchgeführt. Darüber hinaus waren fortschrittliche theoretische Modellierungen der Schlüssel zur Aufdeckung elektronischer Prozesse, die in komplexen Zielobjekten wie gelösten Molekülen, Wasserclustern, Flüssigkeiten und Festkörpern stattfinden.
Kennen Sie die Preisträgerin und die Preisträger persönlich? Trifft man sich auf Konferenzen?
Ich kenne Anne L'Huillier und Ferenc Krausz persönlich und habe sie oft auf Konferenzen getroffen. Über eine der starken Gruppen an seinem Institut habe ich einmal mit Ferenc Krausz zusammengearbeitet, und wir haben gemeinsam eine Arbeit über die Attosekunden-Chronoskopie der Elektronenstreuung in dielektrischen Nanopartikeln verfasst. Mit der Gruppe von Anne L'Huillier und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bin ich sehr eng verbunden. Wir haben uns aktiv für eine breite wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Universität Hamburg, DESY und der Universität Lund eingesetzt, indem wir HELIOS (eine gemeinsame internationale Graduiertenschule) gegründet haben. Anne ist dort eine der führenden Wissenschaftlerinnen.
Was glauben Sie, in welche Richtung sich diese Forschung in Zukunft entwickeln wird? Was sind die nächsten Schritte?
Eine sehr aufregende Entwicklung der letzten Jahre sind die Freie-Elektronen-Röntgenlaser, die nun auch Attosekunden-Lichtpulse erzeugen können, jedoch mit einem viel höheren Photonenfluss und einer höheren Photonenenergie als herkömmliche Quellen. Mit den neuen Attosekunden-Fähigkeiten des European XFEL werden wir letztendlich in der Lage sein, den "Quanten"-Film der molekularen Dynamik aufzuzeichnen und die Elektronen, die sich entlang eines molekularen Rückgrats bewegen, mit diffraktiven Bildgebungsverfahren zu erfassen.
Welches Anwendungspotential sehen Sie für die Zukunft?
Über die Fähigkeit zur Beobachtung hinaus besteht auch die Möglichkeit zur Steuerung: In naher Zukunft werden Attosekunden-Lichtquellen eingesetzt, um das Ergebnis ausgewählter chemischer Reaktionen zu steuern oder die Elektronik zu beschleunigen, indem Ströme in der Masse mit PHz-Frequenzen angetrieben werden. Diese Fähigkeiten haben das Potenzial, sich in robuste Werkzeuge für eine effiziente Lichtsammlung zu verwandeln, die in der Biochemie, Nanowissenschaft, Elektronik, Umweltwissenschaft und Energieumwandlung Anwendung finden.
Vielen Dank, Professor Calegari, für die interessanten Einblicke.